Warum sich Kartellschadensersatzverfahren im Schadens- und Prozessrecht entscheiden.
Ein Interview mit Dr. Karl Wach und Dr. Arno Riethmüller.
Herr Dr. Wach, wie kann eine Spezialkanzlei für Konfliktlösung ohne eigene Kartellrechtspraxis die Beratung in Kartellschadensersatzprozessen zu ihren Kernkompetenzen zählen?
Das ist recht simpel. In Kartellschadensersatzprozessen geht es im Kern nicht um Kartellrecht, sondern um Schadens- und Prozessrecht. Der zugrundeliegende Kartellrechtsverstoß muss vom Kläger im Prozess nicht bewiesen werden. Stattdessen stellen die Kartellbehörden den Kartellrechtsverstoß in ihrer Entscheidung fest und diese Feststellung ist für die Gerichte in den nachfolgenden Zivilverfahren rechtlich bindend. Daher hängen die Erfolgsaussichten in Kartellschadensersatzprozessen wesentlich von der Bewältigung der anspruchsvollen Aufgaben der strategischen Planung des Prozesses und des Umgangs mit der typischen Komplexität des Sachverhalts und der großen Anzahl von Beteiligten bzw. Ansprüchen ab. Dies fällt in unsere Kernkompetenz.
Und für Fragen des Kartellrechts haben wir bewanderte Kollegen, wie Herrn Dr. Riethmüller, der in diesem Bereich promoviert hat.
Herr Dr. Riethmüller, können Sie dies bitte näher ausführen?
Bereits in meiner Dissertation habe ich mich mit den forensischen Aspekten des Kartellrechts befasst, die gerade im Bereich des Kartellschadensersatzes entscheidend sind und für die Wach und Meckes prädestiniert ist. Unser Team besteht aus international versierten Anwälten mit langjähriger Erfahrung im Bereich der komplexen Konfliktlösung. Wir vertreten unsere Mandanten vor staatlichen Gerichten, vor Schiedsgerichten, in Mediationen und in außergerichtlichen Verhandlungen. Zudem sind die Partner der Kanzlei regelmäßig als Schiedsrichter in nationalen und internationalen Schiedsverfahren tätig.
Die Analyse des Konflikts, die Aufarbeitung und Sicherung der regelmäßig umfänglichen Fakten und die darauf basierende Entwicklung und Umsetzung einer individuellen Streitlösungsstrategie sind unserer Kernkompetenzen. Hierzu zählt auch die Beratung in Massenverfahren, die gerade im Bereich Kartellschadensersatz verstärkt auftreten und in besonderem Maß der Planung und Systematisierung bedürfen, um für die Gerichte handhabbar zu bleiben.
Herr Dr. Wach, dasselbe schreiben sich auch internationale Großkanzleien auf ihre Fahnen. Welchen Vorteil bieten Sie Kartellgeschädigten oder Kartellanten?
Für einen komplexen und mehrere Jahre andauernden Kartellschadensersatzprozess braucht es keine Heerschar von Anwälten. Wichtig ist vielmehr ein ausgewähltes Team erfahrener Prozessanwälte mit Partnern, die sich intensiv in die Mandatsbearbeitung einbringen und für die Mandanten im Tagesgeschäft stets präsent sind. Der modulare Aufbau unserer Teams erlaubt es uns dabei, deren Größe je nach Verfahrensstadium organisch anzupassen. Mit dieser Aufstellung vertreten wir unsere Mandanten erfolgreich in einer Vielzahl von großvolumigen Rechtsstreitigkeiten.
Welche Erfahrung hat Wach und Meckes im Bereich Kartellschadensersatz?
Heutige Partner unserer Kanzlei, damals noch als Teil der internationalen Kanzlei Ashurst, waren von Beginn der aktuellen Gesetzgebung im Bereich Kartellschadensersatz tätig und haben sowohl Kartellanten verteidigt als auch finanzierende Banken und Kläger in Massenverfahren begleitet und vertreten.
Im Jahr 2004 haben diese den deutschen Teil der Ashurst-Studie zu den Voraussetzungen für den Ersatz von Schäden aus EUWettbewerbsrechtsverstößen für die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission verantwortet. Auf dieser Grundlage hat die Europäische Kommission im Grünbuch über Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts Optionen für eine effizientere Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts entwickelt, die bis heute maßgeblichen Einfluss auf Gesetzgebung und die heutige Gesetzeslage hatten.
Bereits zu dieser Zeit haben wir mehrere Schadensersatzverfahren im Zusammenhang mit dem sog. „Vitamin-Kartell“ geführt und waren in den Folgejahren an zahlreichen weiteren Kartellschadensersatzverfahren auf Beklagtenseite beteiligt.
Zudem waren wir mehrfach mit der Strukturierung und Durchführung von Massenverfahren befasst. So haben wir beispielsweise eine internationale Großbank im Zusammenhang mit der Finanzierung der gebündelten Durchsetzung einer Vielzahl von Kartellschadensersatzansprüchen in dreistelliger Millionenhöhe beraten und Maßnahmen zur Steigerung der Erfolgsaussichten des gerichtlichen Klageverfahrens veranlasst.
Ferner haben wir einen der größten kommerziellen Anbieter für die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen bei der Optimierung der Prozessstrategie sowie der Bündelung der Ansprüche in verschiedenen Kartellschadensersatzfällen beraten.
Jüngst haben wir uns intensiv mit den Herausforderungen von Massenklagen mittels Bündelung von Ansprüchen in einem Klagevehikel befasst.
Was sind denn die entscheidenden Streitpunkte in Kartellschadensersatzprozessen, Herr Dr. Riethmüller?
In der Theorie ist der Anspruch auf Schadensersatz schnell begründet, zumal das Zivilgericht an die Feststellung des Kartellverstoßes durch die Kartellbehörden gebunden ist.
In der Praxis gilt es jedoch erhebliche Hürden zu bewältigen. Kernthemen sind dabei die Kartellbetroffenheit, der Nachweis, dass das Kartell einen Schaden herbeigeführt hat, und die Höhe des Schadens. Diese Punkte haben alle wenig bis nichts mit dem Kartellrecht, aber sehr viel mit dem Schadens- und Prozessrecht zu tun, in dem wir unsere Kernkompetenz haben.
Zum ersten Punkt, was bedeutet „Kartellbetroffenheit“?
Während dieses Tatbestandsmerkmal in der Vergangenheit noch stark umkämpft war, muss der Kläger nach neuer Rechtsprechung zunächst nur beweisen, dass er von einem kartellbeteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen erworben hat, die Gegenstand der Kartellabsprache waren. Hierdurch belegt der Kläger seine grundsätzliche Befugnis im Prozess einen Schadensersatzanspruch gegen den oder die Kartellanten geltend machen zu können, durch deren wettbewerbsbeschränkendes Verhalten er geschädigt worden sein könnte (sog. Aktivlegitimation).
Und was gilt hinsichtlich des Schadens des Klägers?
Für den vom Kläger weiter zu führenden Nachweis eines Schadens durch das Kartell kann sich dieser jedenfalls bei Quoten und Kundenschutzkartellen nach den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum sog. Schienenkartell (11. Dezember 2018 – KZR 26/17 und 28. Januar 2020 – KZR 24/17) nicht mehr auf die Beweiserleichterung des so genannten Anscheinsbeweis stützen. Bei Quoten- und Kundenschutzkartellen werden Aufträge und Kunden innerhalb eines Marktsegmentes entsprechend von Produktionskapazitäten oder anderen Kriterien verteilt. Laut Bundesgerichtshof existiert jedenfalls in diesen Fällen kein typischer Erfahrungssatz, wonach allein die Teilnahme an einem Kartell eine hohe Wahrscheinlichkeit begründet, dass jedes Geschäft während dessen Laufzeit zu einem überhöhten Preis abgeschlossen wurde. Dieser Preiseffekt hänge vielmehr von zahlreichen Faktoren ab, wie der Anzahl der Marktteilnehmer und der beteiligten Unternehmen am Kartell, der Marktabdeckung sowie der Kartelldisziplin. Dies spreche gegen einen typischen stets gleichförmigen Hergang. Ob der Bundesgerichtshof diese Grundsätze auch bei anderen Hardcore-Kartellen für einschlägig erachtet, bleibt abzuwarten.
Unverändert Geltung hat dagegen die vom Bundesgerichtshof anerkannte tatsächliche Vermutung, dass die von einem Kartell erzielten Preise über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Kartellabsprache gebildet hätten. Diese Vermutung begründet für das Gericht eine starke Indizwirkung. Den Kartellanten bleibt jedoch die Möglichkeit, Umstände darzulegen, die gegen diese Indizwirkung sprechen, so dass der Richter dann im Rahmen seiner Beweiswürdigung die konkrete Gestaltung des Kartells, die Kartellpraxis sowie weitere Umstände berücksichtigen muss, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen.
Wurden durch diese Rechtsprechung die Hürden für Kläger erhöht?
Diese Rechtsprechung kann den Aufwand des Klägers für die Darlegung und den Nachweis des Schadenseintritts erhöhen, dürfte aber nicht dazu führen, dass sich darüber hinaus die Erfolgschancen für Kläger praktisch verschlechtern.
Denn sie erhöht einerseits die Anforderungen für die Kläger, alle zur Stützung der Indizwirkung maßgeblichen Umstände vorzutragen, die im konkreten Fall für einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen. Kläger können sich hierzu nicht mehr lediglich auf den Anscheinsbeweis, d.h. das von den Kartellbehörden festgestellte Kartell, berufen. Diesen Vortrag überzeugend ohne ein Sachverständigengutachten zu erbringen, wird aufgrund der Komplexität der Preisfaktoren zumeist schwierig zu bewältigen sein.
Andererseits steht der Beweiswert der erwähnten und unverändert geltenden tatsächlichen Vermutung kartellbedingt erhöhter Preise nicht wesentlich hinter dem Anscheinsbeweis zurück und gibt im Ausgangspunkt eine klare Tendenz für die richterliche Würdigung vor.
Wird der Gesetzgeber an dieser Stelle noch nachbessern?
Das hat er bereits getan, indem mit der 9. GWB-Novelle aus dem Jahr 2017 die widerlegliche Vermutung, dass ein Kartell einen Schaden verursacht, gesetzlich festgeschrieben wurde.
Es ist dann an den Kartellanten, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen, indem sie etwa beweisen, dass die Kartellabsprache nicht erfolgreich umgesetzt wurde oder aus anderen Gründen keine Auswirkungen auf den Preis hatte. Die neue gesetzliche Vermutung findet jedoch nur auf Schadensersatzansprüche Anwendung, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, und gelangt daher in der Praxis bisher noch kaum zur Anwendung.
Mit der am 19. Januar 2021 in Kraft getretenen 10. GWB-Novelle wurde darüber hinaus eine widerlegliche gesetzliche Vermutung der Kartellbetroffenheit eingeführt. Danach wird vermutet, dass Rechtsgeschäfte über Waren oder Dienstleistungen mit den kartellbeteiligten Unternehmen im sachlich, zeitlich und räumlichen Bereich des Kartells von diesem erfasst waren.
Sie hatten die Schadenshöhe als weiteres Kernthema erwähnt. Muss der Kläger die Höhe seines Schadens konkret beweisen?
Die angesprochene tatsächliche Vermutung sowie die neue gesetzliche Vermutungsregel gelten nur für das Bestehen eines Schadens sowie dessen Verursachung durch die Kartellabrede. Es besteht jedoch bisher keine Vermutungsregelung zur Schadenshöhe.
Auch in der 10. GWB-Novelle wurde bewusst von der Einführung einer solchen Vermutungsregel abgesehen und stattdessen auf die Möglichkeit der Schätzung der Schadenshöhe durch das Gericht verwiesen (§ 287 ZPO). Von dieser Möglichkeit, die Schadenshöhe ohne die Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen zu schätzen, wurde bislang jedoch nur vereinzelt Gebrauch gemacht.
Zuletzt bewies das LG Dortmund in seinem Urteil vom 30. September 2020 (8 O 115/14 (Kart)) „Mut zur Schätzung“, in dem es unter Berufung auf einen Aufsatz des Vorsitzenden Richters des 1. Kartellsenats des OLG Düsseldorf, Prof. Dr. Kühnen (NZKart 2019, 515), die in der Rechtsprechung vorherrschenden aufwändigen und kostenintensiven Schadensermittlungsmethoden aufgrund von Unwägbarkeiten und Nachteilen für den Kartellgeschädigten verwarf und eigenständig einen Mindestschaden schätzte. Diesen bezifferte es auf einen 15 %igen kartellbedingten Aufschlag auf den Nettopreis, der im betreffenden Fall mit der Vertragsstrafe in den AGB für den Fall eines Kartellverstoßes übereinstimmte. Das LG Dortmund konnte dabei auch deshalb „mutig“ sein, da es im Falle einer Berufung gegen sein Urteil jedenfalls am dann zuständigen OLG Düsseldorf mit einem großen Fürsprecher für die angewandte Methodik rechnen konnte.